JTGT

Ausschnitte aus Jewgenij Samjatins "Wir"

Ich öffnete eine schwere, knarrende, undurchsichtige Tür, und wir standen in einem finsteren, unordentlichen Raum (das hieß bei denen »Wohnung«). Ich sah das sonderbare »königliche« Musikinstrument und eine wilde, verrückte, unorganisierte Buntheit von Farben und Formen, die an die damalige Musik erinnerte. Oben eine weiße Fläche, dunkelblaue Wände, rote, grüne, orangegelbe Einbände alter Bücher, gelbes Messing - Kandelaber, eine Buddhastatue, von Epilepsie verzerrte Möbel, die in keine Gleichung paßten. Ich konnte dieses Chaos kaum ertragen. Aber meine Begleiterin schien einen kräftigeren Organismus zu haben.
»Das hier ist meine liebste...« Plötzlich besann sie sich ein Lächeln wie ein Biß, spitze weiße Zähne. »Genauer gesagt, die absurderste von allen ihren ﹥Wohnungen﹤.« »Oder noch genauer: von ihren Staaten«, korrigierte ich. »Tausende von mikroskopisch kleinen, ewig kriegführenden Staaten, gnadenlos wie...«
»Ja, klar«, sagte I-330 offenbar sehr ernst.
Wir gingen durch ein Zimmer mit kleinen Kinderbetten (die Kinder waren in jener Epoche auch Privateigentum). Und wieder Zimmer, blinkende Spiegel, mürrische Schränke, unerträglich bunte Sofas, ein mächtiger Kamin, ein großes Bett aus Mahagoni. Unser heutiges schönes, durchsichtiges, ewiges Glas gab es hier nur in Form von jämmerlichen Fenstervierecken.
»Wenn man so denkt: Hier haben sie sich einfach so geliebt, hier haben sie geglüht, gelitten...« (Wieder die herabgelassenen Stores der Lider.) »Welch dumme, unwirtschaftliche Verschwendung menschlicher Energie, nicht wahr?«
Sie sprach sozusagen aus mir, sprach meine Gedanken aus. Aber in ihrem Lächeln war ständig das aufreizende X. Hinter den Stores ihrer Augen ging etwas vor, ich weiß nicht was, doch es raubte mir die Geduld; ich wollte mit ihr streiten, sie anschreien (jawohl), doch ich mußte ihr beipflichten, es ging nicht anders. Wir blieben vor dem Spiegel stehen. In diesem Moment sah ich nur ihre Augen. Mir kam ein Gedanke: der Mensch ist ja genauso wild eingerichtet wie diese absurden »Wohnungen« - sein Kopf ist undurchsichtig, und er hat nur winzige Fenster: die Augen. Sie schien es erraten zu haben, denn sie drehte sich um. »Nun, da sind meine Augen. Na?« (Dies natürlich stumm.)
Vor mir waren zwei unheimlich dunkle Fenster, darinnen ein unbekanntes, fremdes Leben. Ich sah nur Feuer - dort brannte ihr »Kamin« - und da waren Gestalten, anzusehen wie...
Das war ja auch ganz natürlich: ich sah dort mich gespiegelt. Aber es war unnatürlich, und ich war nicht ich (offensichtlich die bedrückende Wirkung der Möbel) - ich fühlte mich ertappt, eingesperrt in diese irre Zelle, erfaßt von einem wilden Wirbel des alten Lebens.
Wissen Sie was", sagte I-330, »gehen Sie einen Moment ins Nebenzimmer.« Ihre Stimme kam von innen, aus den dunklen Fenstern der Augen, in denen der Kamin loderte.

[...]

Buddah - gelb - Maiglöckchen - rosa Halbmond

[...]

Was macht es schon, daß nur die Stärke einer Messerklinge uns von der anderen Seite des Nullfelsens trennt! Das Messer ist das Dauerhafteste und Unsterblichste, Genialste von allem, was der Mensch geschaffen hat. Das Messer war Guillotine, das Messer ist die Universalmethode, alle Knoten zu lösen, und auf des Messers Schneide verläuft der Weg der Paradoxe - der einzig würdige Weg für einen furchtlosen Verstand.