JTGT

Ausschnitt aus Leonhard Franks "Fünf Pfennige"

Auf der Straße blieb er vor einem Droschkengaul stehen. Das Mädchen hatte mit aller Kraft der Frage im Blick ihm nachgesehen.
Es war schon dunkel; nur das Pferdeauge glänzte ein wenig, mild und ungeheuer müde. Als laste der ganze Erdball auf ihm, stand das Pferd. – Es gibt nichts auf dieser Welt, was trauriger und so tief resigniert ist wie das Auge eines Droschkengauls. –
Dem Gaul zitterten die Vorderbeine. Er schloß das Auge, hob das eine Bein und schaukelte es ein wenig, und das Hufgelenk zuckte vor Übermüdung. Dann stand das Auge wieder offen.
Anton Seilgeher dachte daran, daß sein Freund zu ihm gesagt hatte: »Die materialistische Weltanschauung ist flach, ich glaube an die unsterbliche Seele!«
»Ja aber die Tiere?«
»Die Tiere haben keine Seele. Kann die Laus eine Seele haben?«
»Die Laus? Eine Seele?«
Er sah in das milde Auge des Droschkengauls. Es war von tiefster Traurigkeit. – Wie das Auge der Muttergottes. Haben Tiere keine Seele –?
Da hob der Gaul das andere Bein, auf daß es etwas ausruhe. Ein Fahrgast im Pelz stürzte zum Wagenschlag. Der Kutscher fuhr aus dem Schlafe, »ha?«, riß die Decke vom Pferd, die Peitsche aus dem Halter, das Pferd zog an. Genau hatte Seilgeher gesehen, daß sich der Blick des Droschkengauls um nichts verändert hatte. Das Auge wurde mit seiner ganzen Schwermut vom Gaul mitgetragen, die dunkle Straße hinunter.