Ausschnitte aus Tschingis Aitmatows "Dshamilja"
Nachdem wir die letzte Fuhre Heu geladen hatten, blickte Dshamilja lange ins Abendrot, als hätte sie alles auf der Welt vergessen. Jenseits des Flusses, irgendwo am Rand der Kasachensteppe, glühte die müde Junisonne wie die runde Öffnung eines Backofens und versank langsam, die dünnen Federwölkchen am Himmel in zartes Rot tauchend, am Horizont. Ein letzter Widerschein des Abendlichts fiel auf die violette Steppe, während schon das blaue Dunkel der frühen Nacht über den Senken lag. Dshamilja betrachtete den Sonnenuntergang mit stillem Entzücken, als sähe sie eine wunderbare Erscheinung. Tiefe Zärtlichkeit lag in ihrem Gesicht, ihre halbgeöffneten Lippen lächelten kindlich und sanft.
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Die Mäher unserer Kolchose waren auf die Heuschläge am Ufer des Kukureu verteilt. Nicht weit von der Stelle, wo wir arbeiteten, bricht der Kukureu schäumend aus einer Felsschlucht hervor und ergießt sich als reißender Strom durchs Tal. In unserer Gegend schwellen Flüsse und Bäche erst zur Zeit der Heuernte an und überschwemmen die Ufer. Gegen Abend begann das trübe Wasser des Kukureu zu steigen, und um Mitternacht rauschte es so laut, daß ich oft davon aufwachte. Der blaue, klare Nachthimmel schaute mit unzähligen Sternen zu unserer Hütte herein, bisweilen fegte ein kalter Windstoß über die schlafende Erde, und der tosende Fluß schien immer näher und näher zu kommen. Obwohl unsere Hütte nicht unmittelbar am Ufer stand, hatte man in der Nacht die Empfindung, als sei das Wasser ganz nahe, und man dachte erschrocken: vielleicht reißt es plötzlich die Hütte weg und spült sie fort? Meine Kameraden schliefen meistens wie tot, ich aber konnte oft keinen Schlaf finden und ging ins Freie.
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Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel, und auf der Station war ein solches Gewühl, daß man kaum durchkam: Wagen und Karren mit Getreidesäcken, die aus dem ganzen Tal hierhergekommen waren, schwerbepackte Maulesel und Ochsen aus entlegenen Kolchosen im Gebirge. Die Treiber waren halbwüchsige Burschen und Soldatenfrauen, fast schwarz verbrannt, in verschossenen Kleidern, mit bloßen, an den Felsen zerschundenen Füßen und blutenden, vor Hitze und Staub aufgesprungenen Lippen. Über dem Tor der Sammelstelle hing ein Transparent: ›Jede Kornähre für die Front!‹ Im Hof ein unglaubliches Gedränge und Gestoße, die Ochsen- und Maultiertreiber schrien um die Wette. Hinter einer niedrigen Ziegelmauer rangierte eine Lokomotive und spie unter lautem Zischen dicke, weiße Dampfwolken und rotglühende Funken aus. Züge ratterten mit ohrenbetäubendem Donnern vorbei; die geifertriefenden Mäuler aufgerissen, brüllten Kamele wütend und verzweifelt und wollten nicht von der Erde aufstehen. Unter dem glühenden Blechdach des Kornspeichers türmten sich Getreideberge. Wir mußten die Säcke über eine schmale Bretterstiege bis unters Dach hinauftragen. Der stickige Korngeruch und der dichte Staub benahmen einem den Atem. »He, Bursche, paß auf!« schreit der Aufseher von unten; seine Augen sind rot und geschwollen, weil er nächtelang nicht mehr geschlafen hat. »Schlepp den Sack hinauf, ganz hinauf!« Er droht mit der Faust und flucht.
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Aus der Steppe kam ein glühendheißer Wind, warf das Stroh durcheinander, rüttelte an der wackligen Jurte am Rand der Tenne und wirbelte wie ein Kreisel den Weg entlang. Und wieder flammten blaue Lichter in den Wolken auf, und mit trockenem Krachen entlud sich das Gewitter. Mir war bang und froh zumute: das Gewitter war da, das letzte Sommergewitter.
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Der Sturm riß die Filzdecke von der Jurte, sie flatterte wie ein angeschossener Vogel; windgepeitscht, gleichsam die Erde küssend, strömte der Regen herab. Wie eine mächtige Lawine rollte der Donner über den ganzen Himmel, über den Bergen flammten Blitze auf, rot wie die Tulpen im Frühjahr, zwischen den steilen Ufern des Flusses heulte der Wind. Es goß in Strömen.