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Ausschnitte aus Antoine de Saint-Exupérys "Der kleine Prinz"

Er war wirklich sehr aufgebracht. Er schüttelte sein goldenes Haar im Wind.
»Ich kenne einen Planeten, auf dem ein purpurroter Herr haust. Er hat nie den Du einer Blume geatmet. Er hat nie einen Stern angeschaut. Er hat nie jemanden geliebt. Er hat nie etwas anderes als Additionen gemacht. Und den ganzen Tag wiederholt er wie du: Ich bin ein ernsthafter Mann! Ich bin ein ernsthafter Mann! Und das macht ihn ganz geschwollen vor Hochmut. Aber das ist kein Mensch, das ist ein Schwamm.«
»Ein was?«
»Ein Schwamm!«
Der kleine Prinz war jetzt ganz blaß vor Zorn.
»Es sind nun Millionen Jahre, daß die Blumen Dornen hervorbringen. Es sind Millionen Jahre, daß die Schafe trotzdem die Blumen fressen. Und du findest es unwichtig, wenn man wissen möchte, warum sie sich so viel Mühe geben, Dornen hervorzubringen, die zu nichts Zweck haben? Dieser Kampf der Schafe mit den Blumen soll unwichtig sein? Weniger ernsthaft als die Additionen eines dicken, roten Mannes? Und wenn ich eine Blume kenne, die es in der ganzen Welt nur ein einziges Mal gibt, nirgends anders als auf meinem kleinen Planeten, und wenn ein kleines Schaf, ohne zu wissen, was es tut, diese Blume eines Morgens so mit einem einzigen Biß auslöschen kann, – das soll nicht wichtig sein?!«
Er wurde rot vor Erregung und fuhr fort:
»Wenn einer eine Blume liebt, die es nur ein einziges Mal gibt auf allen Millionen und Millionen Sternen, dann genügt es ihm völlig, daß er zu ihnen hinaufschaut, um glücklich zu sein. Er sagt sich: Meine Blume ist da oben, irgendwo … Wenn aber das Schaf die Blume frißt, so ist es für ihn, als wären plötzlich alle Sterne ausgelöscht! Und das soll nicht wichtig sein?«
Er konnte nichts mehr sagen. Er brach plötzlich in Schluchzen aus. Die Nacht war hereingebrochen. Ich hatte mein Werkzeug weggelegt. Mein Hammer, mein Bolzen, der Durst und der Tod, alles war mir gleichgültig. Es galt auf einem Stern, einem Planeten, auf dem meinigen, hier auf der Erde, einen kleinen Prinzen zu trösten! Ich nahm ihn in die Arme. Ich wiegte ihn. Ich flüsterte ihm zu: »Die Blume, die du liebst, ist nicht in Gefahr … Ich werde ihm einen Maulkorb zeichnen, deinem Schaf … Ich werde dir einen Zaun für deine Blume zeichnen … Ich …« Ich wußte nicht, was ich noch sagen sollte. Ich kam mir sehr ungeschickt vor. Ich wußte nicht, wie ich zu ihm gelangen, wo ich ihn erreichen konnte … Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen.

[...]

»Wie schön Sie sind!«
»Nicht wahr?« antwortete sanft die Blume. »Und ich bin zugleich mit der Sonne geboren …«
Der kleine Prinz erriet wohl, daß sie nicht allzu bescheiden war, aber sie war so rührend!
»Ich glaube, es ist Zeit zum Frühstücken«, hatte sie bald hinzugefügt, »hätten Sie die Güte, an mich zu denken?«
Und völlig verwirrt hatte der kleine Prinz eine Gießkanne mit frischem Wasser geholt und die Blume bedient.

So hatte sie ihn sehr bald schon mit ihrer etwas scheuen Eitelkeit gequält. Eines Tages zum Beispiel, als sie von ihren vier Dornen sprach, hatte sie zum kleinen Prinzen gesagt:
»Sie sollen nur kommen, die Tiger, mit ihren Krallen!«
»Es gibt keine Tiger auf meinem Planeten«, hatte der kleine Prinz eingewendet, »und die Tiger fressen auch kein Gras.«
»Ich bin kein Gras«, hatte die Blume sanft geantwortet.
»Verzeihen Sie mir …«
»Ich fürchte mich nicht vor den Tigern, aber mir graut vor der Zugluft. Hätten Sie keinen Wandschirm?«
Grauen vor Zugluft? … Das sind schlechte Aussichten für eine Pflanze, hatte der kleine Prinz festgestellt. Diese Blume ist recht schwierig …
»Am Abend werden Sie mich unter einen Glassturz stellen. Es ist sehr kalt bei Ihnen. Das ist schlecht eingerichtet. Da, wo ich herkomme …«
Aber sie hatte sich unterbrochen. Sie war in Form eines Samenkorns gekommen. Sie hatte nichts von den anderen Welten wissen können. Beschämt, sich bei einer so einfältigen Lüge ertappen zu lassen, hatte sie zwei- oder dreimal gehustet, um den kleinen Prinzen ins Unrecht zu setzen:
»Der Wandschirm …?«
»Ich wollte ihn gerade holen, aber Sie sprachen mit mir!«
Dann hatte sie sich neuerlich zu ihrem Husten gezwungen, um ihm trotzdem Gewissensbisse aufzunötigen.

So hatte der kleine Prinz trotz des guten Willens seiner Liebe rasch an ihr zu zweifeln begonnen, ihre belanglosen Worte bitter ernst genommen und war sehr unglücklich geworden.
»Ich hätte nicht auf die hören sollen«, gestand er mir eines Tages. »Man darf den Blumen nicht zuhören, man muß sie anschauen und einatmen. Die meine erfüllte den Planeten mit Duft, aber ich konnte seiner nicht froh werden. Diese Geschichte mit den Krallen, die mich so gereizt hat, hätte mich rühren sollen.«
Er vertraute mir noch an:
»Ich habe das damals nicht verstehen können! Ich hätte sie nach ihrem Tun und nicht nach ihren Worten beurteilen sollen. Sie duftete und glühte für mich. Ich hätte niemals fliehen sollen! Ich hätte hinter all den armseligen Schlichen Ihre Zärtlichkeit erraten sollen. Die Blumen sind so widerspruchsvoll! Aber ich war zu jung, um sie lieben zu können.«

[...]

Der kleine Prinz riß auch ein bißchen schwermütig die letzten Triebe des Affenbrotbaumes aus. Er glaubte nicht, daß er jemals zurückkehren müsse. Aber alle diese vertrauten Arbeiten erschienen ihm an diesem Morgen ungemein süß. Und, als er die Blume zum letztenmal begoß und sich anschickte, sie unter den Schutz der Glasglocke zu stellen, entdeckte er in sich das Bedürfnis zu weinen.
»Adieu«, sagte er zur Blume.
Aber sie antwortete ihm nicht.
»Adieu«, wiederholte er.
Die Blume hustete. Aber das kam nicht von der Erkältung.
»Ich bin dumm gewesen«, sagte sie endlich zu ihm. »Ich bitte dich um Verzeihung. Versuche, glücklich zu sein.«
Es überraschte ihn, daß die Vorwürfe ausblieben. Er stand ganz fassungslos da, mit der Glasglocke in der Hand. Er verstand diese stille Sanftmut nicht.
»Aber ja, ich liebe dich«, sagte die Blume. »Du hast nichts davon gewußt. Das ist meine Schuld. Es ist ganz unwichtig. Aber du warst ebenso dumm wie ich. Versuche, glücklich zu sein … Laß diese Glasglocke liegen! Ich will sie nicht mehr …«
»Aber der Wind …«
»Ich bin nicht so stark erkältet, daß … Die frische Nachtluft wird mir gut tun. Ich bin eine Blume.«
»Aber die Tiere …«
»Ich muß wohl zwei oder drei Raupen aushalten, wenn ich die Schmetterlinge kennenlernen will. Auch das scheint sehr schön zu sein. Wer wird mich sonst besuchen? Du wirst ja weit weg sein. Was aber die großen Tiere angeht, so fürchte ich mich nicht. Ich habe meine Krallen.«
Und sie zeigt treuherzig ihre vier Dornen. Dann fügte sie noch hinzu:
»Zieh es nicht so in die Länge, das ist ärgerlich. Du hast dich entschlossen zu reisen. So geh!«
Denn sie wollte nicht, daß er sie weinen sähe. Es war eine so stolze Blume.

[...]

»Ich habe auch eine Blume.«
»Wir schreiben Blumen nicht auf«, sagte der Geograph.
»Warum das? Sie sind das Schönste!«
»Weil Blumen vergänglich sind.«
»Was heißt ›vergänglich‹?«
»Die Geographiebücher«, entgegnete der Geograph, »sind die wertvollsten von allen Büchern. Sie veralten nie. Es ist sehr selten, daß ein Berg seinen Platz wechselt. Es ist sehr selten, daß ein Ozean seine Wasser ausleert. Wir schreiben die ewigen Dinge auf.«
»Aber die erloschenen Vulkane können wieder aufwachen«, unterbrach der kleine Prinz. »Was bedeutet ›vergänglich‹?«
»Ob die Vulkane erloschen oder tätig sind, kommt für uns aufs gleiche hinaus«, sagte der Geograph. »Was für uns zählt, ist der Berg. Er verändert sich nicht.«
»Aber was bedeutet ›vergänglich‹?« wiederholte der kleine Prinz, der in seinem Leben noch nie auf eine einmal gestellte Frage verzichtet hatte.
»Das heißt: ›von baldigem Entschwinden bedroht‹.«
»Ist meine Blume von baldigem Entschwinden bedroht?«
»Gewiß.«
Meine Blume ist vergänglich, sagte sich der kleine Prinz, und sie hat nur vier Dornen, um sich gegen die Welt zu wehren! Und ich habe sie ganz allein zu Hause zurückgelassen!
Das war die erste Regung seiner Reue. Aber er faßte wieder Mut:
»Was raten Sie mir, wohin ich gehen soll?« fragte er.
»Auf den Planeten Erde«, antwortete der Geograph, »er hat einen guten Ruf …«
Und der kleine Prinz machte sich auf und dachte an seine Blume.

[...]

»Gute Nacht«, sagte der kleine Prinz aufs Geratewohl.
»Gute Nacht«, sagte die Schlange.
»Auf welchen Planeten bin ich gefallen?« fragte der kleine Prinz.
»Auf die Erde, du bist in Afrika«, antwortete die Schlange.
»Ah! … es ist also niemand auf der Erde?«
»Hier ist die Wüste. In den Wüsten ist niemand. Die Erde ist groß« sagte die Schlange.
Der kleine Prinz setzte sich auf einen Stein und hob die Augen zum Himmel:
»Ich frage mich«, sagte er, »ob die Sterne leuchten, damit jeder eines Tages den seinen wiederfinden kann. Schau meinen Planeten an. Er steht gerade über uns … Aber wie weit ist er fort!«
»Er ist schön«, sagte die Schlange. »Was willst Du hier machen?«
»Ich habe Schwierigkeiten mit einer Blume«, sagte der kleine Prinz.
»Ah!« sagte die Schlange.
Und sie schwiegen.
»Wo sind die Menschen?« fuhr der kleine Prinz endlich fort. »Man ist ein bißchen einsam in der Wüste …«
»Man ist auch bei den Menschen einsam«, sagte die Schlange.
Der kleine Prinz sah sie lange an.

[...]

Aber nachdem der kleine Prinz lange über den Sand, die Felsen und den Schnee gewandert war, geschah es, daß er endlich eine Straße entdeckte. Und die Straßen führen zu den Menschen.
»Guten Tag«, sagte er.
Da war ein blühender Rosengarten.
»Guten Tag«, sagten die Rosen.
Der kleine Prinz sah sie an. Sie glichen alle seiner Blume.
»Wer seid ihr?« fragte er sie höchst erstaunt.
»Wir sind Rosen«, sagten die Rosen.
»Ach!« sagte der kleine Prinz …
Und er fühlte sich sehr unglücklich. Seine Blume hatte ihm erzählt, daß sie auf der ganzen Welt einzig in ihrer Art sei. Und siehe! da waren fünftausend davon, alle gleich, in einem einzigen Garten!
Sie wäre sehr böse, wenn sie das sähe, sagte er sich … sie würde fürchterlich husten und so tun, als stürbe sie, um der Lächerlichkeit zu entgehen. Und ich müßte wohl so tun, als pflegte ich sie, denn sonst ließe ich sie wirklich sterben, um auch mich zu beschämen …
Dann sagte er sich noch: Ich glaubte, ich sei reich durch eine einzigartige Blume, und ich besitze nur eine gewöhnliche Rose. Sie und meine drei Vulkane, die mir bis ans Knie reichen und von denen einer vielleicht für immer verloschen ist, das macht aus mir keinen sehr großen Prinzen … Und er warf sich ins Gras und weinte.

[...]

»Du bist nicht von hier, sagte der Fuchs, »was suchst du?«
»Ich suche die Menschen«, sagte der kleine Prinz. »Was bedeutet ›zähmen‹?«
»Die Menschen«, sagte der Fuchs, »die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig. Sie ziehen auch Hühner auf. Das ist ihr einziges Interesse. Du suchst Hühner?«
»Nein«, sagte der kleine Prinz, »ich suche Freunde. Was heißt ›zähmen‹?«
»Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache«, sagte der Fuchs. »Es bedeutet: sich ›vertraut machen‹.«
»Vertraut machen?«
»Gewiß«, sagte der Fuchs. »Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt …«
»Ich beginne zu verstehen«, sagte der kleine Prinz. »Es gibt eine Blume … ich glaube, sie hat mich gezähmt …«

[...]

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an:
»Bitte … zähme mich!« sagte er.
»Ich möchte wohl«, antwortete der kleine Prinz, »aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muß Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.«
»Man kennt nur die Dinge, die man zähmt«, sagte der Fuchs. »Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgend etwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!«